Baccalaureus

Tor und Türe find' ich offen!

Nun, da läßt sich endlich hoffen,

Daß nicht, wie bisher, im Moder

Der Lebendige wie ein Toter

Sich verkümmere, sich verderbe

Und am Leben selber sterbe.

Diese Mauern, diese Wände

Neigen, senken sich zum Ende,

Und wenn wir nicht bald entweichen,

Wird uns Fall und Sturz erreichen.

Bin verwegen, wie nicht einer,

Aber weiter bringt mich keiner.

Doch was soll ich heut erfahren!

War's nicht hier, vor so viel Jahren,

Wo ich, ängstlich und beklommen,

War als guter Fuchs gekommen?

Wo ich diesen Bärtigen traute,

Mich an ihrem Schnack erbaute?

Aus den alten Bücherkrusten

Logen sie mir, was sie wußten,

Was sie wußten, selbst nicht glaubten,

Sich und mir das Leben raubten.

Wie? — Dort hinten in der Zelle

Sitzt noch einer dunkel-helle!

Nahend seh' ich's mit Erstaunen,

Sitzt er noch im Pelz, dem braunen,

Wahrlich, wie ich ihn verließ,

Noch gehüllt im rauhen Vlies!

Damals schien er zwar gewandt,

Als ich ihn noch nicht verstand.

Heute wird es nichts verfangen,

Frisch an ihn herangegangen!

Wenn, alter Herr, nicht Lethes trübe Fluten

Das schiefgesenkte, kahle Haupt durchschwommen,

Seht anerkennend hier den Schüler kommen,

Entwachsen akademischen Ruten.

Ich find' Euch noch, wie ich Euch sah;

Ein anderer bin ich wieder da.

Mephistopheles

Mich freut, daß ich Euch hergeläutet.

Ich schätzt' Euch damals nicht gering;

Die Raupe schon, die Chrysalide deutet

Den künftigen bunten Schmetterling.

Am Lockenkopf und Spitzenkragen

Empfandet Ihr ein kindliches Behagen. —

Ihr trugt wohl niemals einen Zopf? —

Heut schau' ich Euch im Schwedenkopf.

Ganz resolut und wacker seht Ihr aus;

Kommt nur nicht absolut nach Haus.

Baccalaureus

Mein alter Herr! Wir sind am alten Orte;

Bedenkt jedoch erneuter Zeiten Lauf

Und sparet doppelsinnige Worte;

Wir passen nun ganz anders auf.

Ihr hänseltet den guten treuen Jungen;

Das ist Euch ohne Kunst gelungen,

Was heutzutage niemand wagt.

Mephistopheles

Wenn man der Jugend reine Wahrheit sagt,

Die gelben Schnäbeln keineswegs behagt,

Sie aber hinterdrein nach Jahren

Das alles derb an eigner Haut erfahren,

Dann dünkeln sie, es käm' aus eignem Schopf;

Da heißt es denn: der Meister war ein Tropf.

Baccalaureus

Ein Schelm vielleicht! — denn welcher Lehrer spricht

Die Wahrheit uns direkt ins Angesicht?

Ein jeder weiß zu mehren wie zu mindern,

Bald ernst, bald heiter klug zu frommen Kindern.

Mephistopheles

Zum Lernen gibt es freilich eine Zeit;

Zum Lehren seid Ihr, merk' ich, selbst bereit.

Seit manchen Monden, einigen Sonnen

Erfahrungsfülle habt Ihr wohl gewonnen.

Baccalaureus

Erfahrungswesen! Schaum und Dust!

Und mit dem Geist nicht ebenbürtig.

Gesteht! was man von je gewußt,

Es ist durchaus nicht wissenswürdig.

Mephistopheles

Mich deucht es längst. Ich war ein Tor,

Nun komm' ich mir recht schal und albern vor.

Bacc

Das freut mich sehr! Da hör' ich doch Verstand;

Der erste Greis, den ich vernünftig fand!

Mephistopheles

Ich suchte nach verborgen-goldnem Schatze,

Und schauerliche Kohlen trug ich fort.

Baccalaureus

Gesteht nur, Euer Schädel, Eure Glatze

Ist nicht mehr wert als jene hohlen dort?

Mephistopheles

Du weißt wohl nicht, mein Freund, wie grob du bist?

Baccalaureus

Im Deutschen lügt man, wenn man höflich ist.

Mephistopheles

Hier oben wird mir Licht und Luft benommen;

Ich finde wohl bei euch ein Unterkommen?

Baccalaureus

Anmaßlich find' ich, daß zur schlechtsten Frist

Man etwas sein will, wo man nichts mehr ist.

Des Menschen Leben lebt im Blut, und wo

Bewegt das Blut sich wie im Jüngling so?

Das ist lebendig Blut in frischer Kraft,

Das neues Leben sich aus Leben schafft.

Da regt sich alles, da wird was getan,

Das Schwache fällt, das Tüchtige tritt heran.

Indessen wir die halbe Welt gewonnen,

Was habt Ihr denn getan? genickt, gesonnen,

Geträumt, erwogen, Plan und immer Plan.

Gewiß! das Alter ist ein kaltes Fieber

Im Frost von grillenhafter Not.

Hat einer dreißig Jahr vorüber,

So ist er schon so gut wie tot.

Am besten wär's, euch zeitig totzuschlagen.

Mephistopheles

Der Teufel hat hier weiter nichts zu sagen.

Bacc

Wenn ich nicht will, so darf kein Teufel sein.

Mephistopheles

Der Teufel stellt dir nächstens doch ein Bein.

Baccalaureus

Dies ist der Jugend edelster Beruf!

Die Welt, sie war nicht, eh' ich sie erschuf;

Die Sonne führt' ich aus dem Meer herauf;

Mit mir begann der Mond des Wechsels Lauf;

Da schmückte sich der Tag auf meinen Wegen,

Die Erde grünte, blühte mir entgegen.

Auf meinen Wink, in jener ersten Nacht,

Entfaltete sich aller Sterne Pracht.

Wer, außer mir, entband euch aller Schranken

Philisterhaft einklemmender Gedanken?

Ich aber frei, wie mir's im Geiste spricht,

Verfolge froh mein innerliches Licht,

Und wandle rasch, im eigensten Entzücken,

Das Helle vor mir, Finsternis im Rücken.

Mephistopheles

Original, fahr hin in deiner Pracht! —

Wie würde dich die Einsicht kränken:

Wer kann was Dummes, wer was Kluges denken,

Das nicht die Vorwelt schon gedacht? —

Doch sind wir auch mit diesem nicht gefährdet,

In wenig Jahren wird es anders sein:

Wenn sich der Most auch ganz absurd gebärdet,

Es gibt zuletzt doch noch e' Wein.

[Ihr bleibt bei meinem Worte kalt,

[Euch guten Kindern laß ich's gehen;

Bedenkt: der Teufel, der ist alt,

So werdet alt, ihn zu verstehen!

LABORATORIUM

Wagner

Die Glocke tönt, die fürchterliche,

Durchschauert die berußten Mauern.

Nicht länger kann das Ungewisse

Der ernstesten Erwartung dauern.

Schon hellen sich die Finsternisse;

Schon in der innersten Phiole

Erglüht es wie lebendige Kohle,

Ja wie der herrlichste Karfunkel,

Verstrahlend Blitze durch das Dunkel.

Ein helles weißes Licht erscheint!

O daß ich's diesmal nicht verliere! —

Ach Gott! was rasselt an der Türe?

Mephistopheles

Willkommen! es ist gut gemeint.

Wagner

Willkommen zu dem Stern der Stunde!

Doch haltet Wort und Atem fest im Munde,

Ein herrlich Werk ist gleich zustand gebracht.

Mephistopheles

Was gibt es denn?

Wagner

Es wird ein Mensch gemacht.

Mephistopheles

Ein Mensch? Und welch verliebtes Paar