Sie faßte so mich in das Haar,

Wie du es tust.

Faust

O ganz und gar

Verlier' ich mich! Erzähle, wie?

Sie ist mein einziges Begehren!

Woher, wohin, ach, trugst du sie?

Chiron

Die Frage läßt sich leicht gewähren.

Die Dioskuren hatten jener Zeit

Das Schwesterchen aus Räuberfaust befreit.

Doch diese, nicht gewohnt, besiegt zu sein,

Ermannten sich urd stürmten hintendrein.

Da hielten der Geschwister eiligen Lauf

Die Sümpfe bei Eleusis auf;

Die Brüder wateten, ich patschte, schwamm hinüber;

Da sprang sie ab und streichelte

Die feuchte Mähne, schmeichelte

Und dankte lieblich-klug und selbstbewußt.

Wie war sie reizend! jung, des Alten Lust!

Faust

Erst zehen Jahr!…

Chiron

Ich seh', die Philologen,

Sie haben dich so wie sich selbst betrogen.

Ganz eigen ist's mit mythologischer Frau,

Der Dichter bringt sie, wie er's braucht, zur Schau:

Nie wird sie mündig, wird nicht alt,

Stets appetitlicher Gestalt,

Wird jung entführt, im Alter noch umfreit;

Gnug, den Poeten bindet keine Zeit.

Faust

So sei auch sie durch keine Zeit gebunden!

Hat doch Achill auf Pherä sie gefunden,

Selbst außer aller Zeit. Welch seltnes Glück:

Errungen Liebe gegen das Geschick!

Und sollt' ich nicht, sehnsüchtigster Gewalt,

Ins Leben ziehn die einzigste Gestalt?

Das ewige Wesen, Göttern ebenbürtig,

So groß als zart, so hehr als liebenswürdig?

Du sahst sie einst; heut hab' ich sie gesehn,

So schön wie reizend, wie ersehnt so schön.

Nun ist mein Sinn, mein Wesen streng umfangen;

Ich lebe nicht, kann ich sie nicht erlangen.

Chiron

Mein fremder Mann! als Mensch bist du entzückt;

Doch unter Geistern scheinst du wohl verrückt.

Nun trifft sich's hier zu deinem Glücke;

Denn alle Jahr, nur wenig Augenblicke,

Pfleg' ich bei Manto vorzutreten,

Der Tochter äskulaps; im stillen Beten

Fleht sie zum Vater, daß, zu seiner Ehre,

Er endlich doch der ärzte Sinn verkläre

Und vom verwegnen Totschlag sie bekehre…

Die liebste mir aus der Sibyllengilde,

Nicht fratzenhaft bewegt, wohltätig milde;

Ihr glückt es wohl, bei einigem Verweilen,

Mit Wurzelkräften dich von Grund zu heilen.

Faust

Geheilt will ich nicht sein, mein Sinn ist mächtig;

Da wär' ich ja wie andre niederträchtig.

Chiron

Versäume nicht das Heil der edlen Quelle!

Geschwind herab! Wir sind zur Stelle.

Faust

Sag an! Wohin hast du, in grauser Nacht,

Durch Kiesgewässer mich ans Land gebracht?

Chiron

Hier trotzten Rom und Griechenland im Streite,

Peneios rechts, links den Olymp zur Seite,

Das größte Reich, das sich im Sand verliert;

Der König flieht, der Bürger triumphiert.

Blick auf! hier steht, bedeutend nah,

Im Mondenschein der ewige Tempel da.

Manto

Von Pferdes Hufe

Erklingt die heilige Stufe,

Halbgötter treten heran.

Chiron

Ganz recht!

Nur die Augen aufgetan!

Manto

Willkommen! ich seh', du bleibst nicht aus.

Chiron

Steht dir doch auch dein Tempelhaus!

Manto

Streiftst du noch immer unermüdet?

Chiron

Wohnst du doch immer still umfriedet,

Indes zu kreisen mich erfreut.

Manto

Ich harre, mich umkreist die Zeit.

Und dieser? +

Chiron

Die verrufene Nacht

Hat strudelnd ihn hierher gebracht.

Helenen, mit verrückten Sinnen,

Helenen will er sich gewinnen

Und weiß nicht, wie und wo beginnen;

Asklepischer Kur vor andern wert.

Manto

Den lieb' ich, der Unmögliches begehrt.

Manto

Tritt ein, Verwegner, sollst dich freuen!

Der dunkle Gang führt zu Persephoneien.

In des Olympus hohlem Fuß

Lauscht sie geheim verbotnem Gruß.

Hier hab' ich einst den Orpheus eingeschwärzt;

Benutz es besser! frisch! beherzt!

AM OBERN PENEIOS

Sirenen

Stürzt euch in Peneios' Flut!

Plätschernd ziemt es da zu schwimmen,

Lied um Lieder anzustimmen,

Dem unseligen Volk zugut.

Ohne Wasser ist kein Heil!

Führen wir mit hellem Heere

Eilig zum ägäischen Meere,

Würd' uns jede Lust zuteil.

Sirenen

Schäumend kehrt die Welle wieder,

Fließt nicht mehr im Bett darnieder;

Grund erbebt, das Wasser staucht,

Kies und Ufer berstend raucht.

Flüchten wir! Kommt alle, kommt!

Niemand, dem das Wunder frommt.

Fort! ihr edlen frohen Gäste,

Zu dem seeisch heitern Feste,

Blinkend, wo die Zitterwellen,

Ufernetzend, leise schwellen;

Da, wo Luna doppelt leuchtet,

Uns mit heil'gem Tau befeuchtet.

Dort ein freibewegtes Leben,

Hier ein ängstlich Erdebeben;

Eile jeder Kluge fort!

Schauderhaft ist's um den Ort.

Seismos

Einmal noch mit Kraft geschoben,

Mit den Schultern brav gehoben!

So gelangen wir nach oben,

Wo uns alles weichen muß.

Sphinxe

Welch ein widerwärtig Zittern,

Häßlich grausenhaftes Wittern!

Welch ein Schwanken, welches Beben,

Schaukelnd Hin — und Widerstreben!

Welch unleidlicher Verdruß!

Doch wir ändern nicht die Stelle,

Bräche los die ganze Hölle.

Nun erhebt sich ein Gewölbe

Wundersam. Es ist derselbe,

Jener Alte, längst Ergraute,

Der die Insel Delos baute,

Einer Kreißenden zulieb'

Aus der Wog' empor sie trieb.

Er, mit Streben, Drängen, Drücken,

Arme straff, gekrümmt den Rücken,

Wie ein Atlas an Gebärde,

Hebt er Boden, Rasen, Erde,

Kies und Grieß und Sand und Letten,

Unsres Ufers stille Betten.

So zerreißt er eine Strecke

Quer des Tales ruhige Decke.

Angestrengtest, nimmer müde,

Kolossale Karyatide,

Trägt ein furchtbar Steingerüste,

Noch im Boden bis zur Büste;

Weiter aber soll's nicht kommen,

Sphinxe haben Platz genommen.

Seismos

Das hab' ich ganz allein vermittelt,

Man wird mir's endlich zugestehn;

Und hätt' ich nicht geschüttelt und gerüttelt,

Wie wäre diese Welt so schön? —

Wie ständen eure Berge droben

In prächtig-reinem ätherblau,

Hätt' ich sie nicht hervorgeschoben

Zu malerisch-entzückter Schau?

Als, angesichts der höchsten Ahnen,

Der Nacht, des Chaos, ich mich stark betrug

Und, in Gesellschaft von Titanen,

Mit Pelion und Ossa als mit Ballen schlug,

Wir tollten fort in jugendlicher Hitze,

Bis überdrüssig noch zuletzt

Wir dem Parnaß, als eine Doppelmütze,

Die beiden Berge frevelnd aufgesetzt…

Apollen hält ein froh Verweilen

Dort nun mit seliger Musen Chor.

Selbst Jupitern und seinen Donnerkeilen